Feldwissen

Standpunkt

Grüner Kapitalismus

10. August 2019 | Standpunkt

Selbst von konservativer Seite wird der Begriff heute verwendet. Deshalb will ich für die Kerndynamik der Wirtschaft das Wort Kapitalismus verwenden. Der Kapitalismus braucht ständige Verwertung des Kapitals. Es muss angelegt, etwas produziert und dadurch das Kapital vermehrt werden. Karl Marx hat dies in der Formel G-W-G‘ dargestellt: G-eld wird investiert in W-arenproduktion. Daraus entsteht mehr G‘-eld.
Deshalb ist dem Kapitalismus auch grüne Innovationspolitik sehr willkommen. Selbst radikale Schnitte wir der Ausstieg aus der Kernenergie oder der Ausstieg aus dem ohnehin gegenüber Importen aus der Dritten Welt unrentablen Kohleabbau sind ihm sehr willkommen.
Der Kapitalismus selbst, wenn man ihn mal kurz personifizieren darf, hat da nichts gegen, im Gegenteil. Gegen Entwicklungen wenden sich manchmal einzelne Interessengruppen, die in alte Industrien verwickelt sind, wie die Bergbauarbeiter mit ihren Familien oder auch die Stromkonzerne, die traditionell ausgerichtet sind. Sobald diese für ihren Ausstieg aus der alten Produktionsweise hinreichend entschädigt werden (siehe Steinkohlebergbau), geben sie ihren Widerstand auf. Die Entschädigung passiert mittlerweile meistens ausreichend. Der Staat stellt genügend Mittel zu Verfügung. Entsprechend wird die Lobbyvertretung der Arbeitenden in den Traditionsindustrien (Gewerkschaften, SPD) auch immer schwächer. Man braucht sie nicht mehr für diese Aufgabe.
Der Ausstieg aus der Kernenergie ist auf diesem Hintergrund auch weniger aus der politischen Motivation oder dem Fukushima-Unglück erklärbar als aus den immensen bisher unkalkulierten Kosten, die die Endlagerung kosten würde. Vielleicht sind die Deutschen hier etwas gründlicher und vorsichtiger im Kalkulieren als andere, die nach dem Prinzip „nach uns die Sintflut“ weiter lustig Kernmüll produzieren.
Die grüne Modernisierung der Technologien mit neuen Produkten ist dem Kapitalismus sehr willkommen. Dies betrifft alle Branchen von Lebensmitteln, Gebrauchsgüter, Energie, Mobilität, Bauen etc.
Etwas Neues, Zusätzliches ist immer gut. Deshalb werden bei den neuen Produkten auch selten ihre ökologischen Herstellungskosten, sondern ihre Verbrauchskosten, wenn sie einmal in neuer Technologie da sind, in den Vordergrund gestellt (siehe LED-Lampen als Straßenbeleuchtung).
Problematisch wird es nur, wenn Kritiker eine Reduzierung, einen Rückzug aus zusätzlichen Wirtschaftsprojekten fordern. Dann hört der Spaß auf. Aus G weniger W zu machen und dadurch G‘ kleiner als G werden zu lassen, vermindert das Kapital. Das geht nicht.
Reduzierung im Sinne der Einschränkung gefährdet alles. Der Kapitalismus mit seinem Wachstumsmechanismus steckt schon tief in den Menschen drin. Einer der am besten erforschten verhaltensökonomischen Effekte ist der Besitztumseffekt. Wenn Menschen einmal etwas Bestimmtes besitzen, geben sie es ungern wieder her. Und wenn sich etas Bestimmtes in den Kopf gesetzt haben, passiert oft gleiches.
Auch die Rückwärtsgewandten, die die vorhandenen Produkte und Industrieformen erhalten wollen, etwa auch Trump, werden für den Kapitalismus nur ein Durchgangsstadium sein. Allerdings kann man auch in einer Durchgangsphase Vieles kaputtmachen, beispielsweise am Frieden in der Welt. Interessanterweise hat Trump auf der Seite der Industrieführer auch wenig Fürsprecher, weil die Entwicklungslogik des Kapitalismus eine andere ist als die eines mittelbegabten Hausspekulanten.
Der Kapitalismus ist ein ungeheurer Fortschrittsmotor, wenn man in traditionellen Fortschrittskonzepten denkt. Am besten sind überaus ambitionierte Zeitziele wie „Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis da und da hin“ oder drohendes Verbot von Fleisch. Dies befördert gigantische Anstrengungen in den Wirtschaftsbranchen und Unternehmen, hier Alternativen zu schaffen. Jedenfalls scheint der hippe Elektro-SUV, der jetzt vom Band läuft und seinen Strom aus der Steckdose bekommt, kein Problem für den Kapitalismus und die heutigen Verbraucher zu sein. Was da so alles dranhängt und was es zusätzlich an Produktion und damit auch ökologischen Kosten bedeutet, bleibt oft etwas im Hintergrund.
Ob hochtechnologisch hergestellt Lebensmittel wie vegane Hamburger mit Fleischgeschmack letztlich weniger ökologische Kosten verursachen als der Fleischhamburger, kann ich nicht beurteilen.
Leider sind diese Themen etwas mehr als emotional. Es lohnt sich hinter manche Empörung zu schauen.
Deshalb noch ein spezielles Thema, Wohnen und Bauen. Nachdem noch in den 00er Jahren das demografische Gespenst des aussterbenden Landes in vielen Expertisen herausgearbeitet wurde, hat sich hier plötzlich etwas geändert. Wohnungsnot wird von allen Seiten beklagt.
Politisch kann sich dem keine Partei entziehen. Wohnungen müssen gebaut werden. „So leid es uns tut, aber Flächen müssen dafür geopfert werden“. Durch das Demografiegespenst war die Bauindustrie tatsächlich nicht mehr so beansprucht worden. Die neue Thematisierung, eng verbunden mit dem Anlagesuchen des Kapitals bei Nullzinspolitik hat hier eine Wende geschaffen.
Aber es gibt nicht nur eine rein kapitalistisch orientierte Baulobby. Genauso existiert eine grüne Baulobby, die von architekturinteressierten Ästheten bis hin zu direkt durch ihren Beruf von Bauprojekten abhängigen Leuten reicht, die sich zu Spezialisten ökologischen Bauens entwickelt haben. Ihre Ideen sind gut und können viel an ökologischem Fortschritt bringen.
Sie stecken aber in dem Dilemma, dass beim Bauen das Renovieren und Umgestalten des Alten in der Regel bedeutend komplizierter und teurer ist als ein Neubau auf der grünen Wiese. Der Kapitaleinsatz (Intelligenz der Planung, Einsatz von kompatiblen Materialien etc.) beim Umgestalten des Vorhandenen ist höher als der Aufwand beim völligen Neubauen, gerade wenn viele ökologische Investitionen dabei sind.
Dies ist im Übrigen ein sehr altes historisches Phänomen und hat uns viele archäologische Denkmälern zwar als Ruinen, aber noch an ihrem Platz erhalten. Selten haben Eroberer in der Geschichte die eroberten Gebäude weiterbewohnt. Meist haben sie sie lediglich als Steinbrüche für ihre Neubauten benutzt.
Was ist aus dem Ganzen zu schließen? Einen Totalrückzug aus der kapitalistischen Logik werden die Menschen kaum mitmachen können. Aber vielleicht ist das G´ mehr qualitativ und sogar mit Umverteilungsaspekten zu realisieren. Umverteilung meint, dass wir tatsächlich dort etwas machen, wo es gebraucht wird.
Trotz der dämlichen Form, die der Fleischproduzent und Schalke-Präsident Tönnies in seiner Aussage zu Afrika gewählt hatte, war ja etwas dran. In Sonnenenergie in Afrika zu investieren, erscheint für die ganze Welt ein plausibles Projekt zu sein. Die Alternative, zu warten, bis wir hier afrikanische Wetterverhältnisse haben, besteht natürlich nach den Erfahrungen der letzten Jahre auch, aber kann ja nicht ernst geeint sein.
Man kann Vieles tun, wird die Logik des Kapitalismus aber nicht kippen. Dazu sind die Menschen in ihrem Wohlstand (noch) nicht gezwungen, deshalb auch nicht bereit. Aber es gilt, genau hinzuschauen, wie qualitatives Wachstum ohne unnötigen Umweltverbrauch zu realisieren ist und nicht einfach den einfacheren Weg zu gehen.

Lit.: Mohr, G. (2015): Systemische Wirtschaftsanalyse, Die Psycho-Logik der Wirtschaft: Mensch und Ökonomie in Einklang bringen, Bergisch-Gladbach: Edition Humanistische Psychologie.