Coaching mit systemischer Transaktionsanalyse

Ich-Entwicklung und Reifegrade im Erwachsenenalter

Abstract

In „Ich-Entwicklung – Reifegrade im Erwachsenenalter“ lernen sie das Modell der Entwicklungsstufen bei Erwachsenen kennen. Der Beitrag untersucht die Frage der Entwicklungspsychologie des Erwachsenenalters. Dazu wird ein Reifegradmodell mit verschiedenen Stufen vorgestellt und einer kritische Betrachtung unter Bezug auf transaktionsanalytische Konzepte unterworfen. 

Schlüsselbegriffe: Entwicklungspsychologie, Erwachsenen-Ich, Integration, Muster

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Konstantes „Mittleres Alter“?

Wie entwickeln sich eigentlich Menschen im Erwachsenenalter? Gibt es wie im Kindesalter bestimmte Entwicklungsstufen, oder bleibt jemand zwischen 25 und 55, im „mittleren Erwachsenenalter“ ziemlich gleich. Letzteres könnte man annehmen, wenn man in die Literatur der Entwicklungspsychologie schaut. Man findet jede Menge Entwicklungstheorien und auch empirische Forschung über das Kindesalter. Dann gibt es wieder Forschung über die Alten, so ab 60 Jahre. Meist geht es bei dieser Forschung des „höheren Erwachsenalters“ darum zu ergründen, wie leistungsfähig Alte noch sind. Aber über die Blütezeit des Erwachsenenalters gibt es kaum Forschung. So als wäre man da ausgereift, wird bei Entwicklungsdefiziten eher danach geschaut, was lässt sich von früher „schief gelaufenen“ Entwicklungen noch einmal reparieren. Das findet dann in der Therapie oder im Coaching statt. Implizit steht dahinter aber die Idee, dass man normalerweise beim Eintritt in das Erwachsenenalter „ausgereift“ ist. Anderes wird versucht durch pädagogische Methodik zu lernen, etwa Rollenverhalten wie das von Führungskräften oder auch Eltern. Aber eine explizite „normale“ Entwicklung etwa in Stufen wie im Kindesalter wird nicht mehr angenommen.  

Der integrierte Erwachsenen-Ichzustand

Für Eric Berne verfügt der Erwachsene über ein reifes Fühlen und Denken, was ein ethisches Bewusstsein mit einschließt. Das Erwachsenen-Ich ist enttrübt von Überlagerungen durch unreflektierte, von außen kommende, frühere Einflussnahmen von anderen (Eltern-Ich) sowie von unreflektierten, eigenen, früher selbstentwickelten Anteilen (Kind-Ich). Eine andere Vorstellung ist die, dass jedes der großen Ichzustandssysteme sich auch weiter entwickeln kann und dann die ganze Person gesteuert durch das Erwachsenen-Ich geläutert handelt. Verschiedene explizite Entwicklungsstufen postuliert die Transaktionsanalyse nicht.  

Das Ego-Development-(Ich-Entwicklungs-) Konzept 

Eine Ausnahme in der Psychologie des Erwachsenenalters bildet die in der Tradition von Piaget stehende Forschung. Jane Loevinger und Robert Kegan sind zwei Forscher, die sich dieser Aufgabe gestellt haben. Ihrer Einschätzung nach finden sich Niveauunterschiede in der Handlungslogik nicht nur im Kindesalter sondern auch im Erwachsenenalter. Die Blickrichtung ist ein dezidiert vertikales, in Niveaustufen formuliertes Lernen. Die Modelle von Loevinger (1985) und Kegan (1994) lassen sich an psychoanalytische Ansätze, aber auch das Konzept von Piaget anknüpfen und Wilber (2001) betont in seiner „Integralen Psychologie“ die Gemeinsamkeiten. Loevinger (1985) beschreibt die Entwicklungsstufen für Erwachsene, Kegan (1994) den interessanten Wechsel zwischen Subjekt und Objektorientierung. Binder (2017, S. 279ff.) gebührt das Verdienst, dieses Konzept im deutschsprachigen Raum vertieft und eingeführt zu haben:  

Neun Stufen

Loevinger (1985) beschrieb neun Stufen, die Binder (2010) in drei Kategorien (vorkonventionell, konventionell, und postkonventionell) einteilt und der letzten noch eine zehnte Stufe hinzufügt.

E1 Präsozial-symbiotische Stufe

E2 Impulsgesteuerte Stufe

E3 Selbstorientierte Stufe

E4 Gemeinschaftsorientierte Stufe 

E5 Rationalistische Stufe

E6 Eigenbestimmte Stufe

E 7 Relativierende Stufe

E8 Systemische Stufe

E9 Integrierte Stufe

E10 Fließende Stufe

Vorkonventionell

Vorkonventionell sind die so genannte präsozial-symbiotsche Stufe E1, die impulsgesteuerte (E2) und auch die selbstorientierte („selbstschützende“, „selfprotective“,[Loevinger, 1985]) Stufe (E3). Bei Erwachsenen fängt es mit dieser Stufe an, auf der die Impulskontrolle für viele noch ein wirkliches Thema ist. Wie im Kindesalter muss etwas sofort sein, oder eine bestimmte Reaktion wird als zwangsläufig erlebt und betrachtet. Nach Loevinger finden sich hier etwa 10 % der erwachsenen Menschen. 

Konventionell

Die konventionelle Ebene, was auch in etwa das „Übliche“, Meistverbreitete bei Erwachsenen bedeutet, wird durch die Stufe des „Gemeinschaftsbestimmten“ betreten. Für viele Menschen ist es üblich, sich fast ausschließlich an anderen zu orientieren. Loevinger spricht hier von konformistisch. Sie unterscheidet als Fortschritt darin noch die bewusst-konformistische Haltung, quasi als entwickelte konformistische Stufe. 

Danach folgt die rationalistische „Stufe“, in der jemand am rationalen Denken orientiert, sich durch klare, seiner Logik folgenden Standards auch von anderen abhebt und diese auch vertritt. In dieser Stufe werden allerdings auch schon andere Perspektiven deutlich bemerkt und nach Erklärungen dafür gesucht. 

Es folgt die bewusst eigenbestimmte Stufe, die an eigenen, überprüften Werten und orientiert ist und auch Selbstoptimierung und Innenschau beinhaltet. Diese durch das deutliche Vertreten von klaren Werten bestimmte Stufe wird in vielen gesellschaftlichen Kontexte als erstrebenswert angesehen („Der weiß, was er will“). Allerdings bleibt hier Flexibilität auf der Strecke, da auch individuelle Werte sehr stark kontext-, milieu- und kulturgeprägt sind. Bei der Begegnung mit anderen ist die  vermeintliche innere Sicherheit der Werte nicht immer hilfreich. 

Postkonventionell

Die postkonventionelle Kategorie, die aus Sicht der Autoren in der erwachsenen Bevölkerung weit weniger häufig verbreitet ist, beginnt mit einer Stufe, die die eigene Wahrnehmung und Sichtweisen zur Welt relativieren lässt. Sie wird von Loevinger die individualistische Stufe genannt. Binder nennt sie die relativierende Stufe, um das hier erreichte Bewusstsein zu verdeutlichen, dass die eigene Wahrnehmung die Welt färbt und dass dies auch zu hinterfragen bleibt.  

Es folgt die autonome Stufe bei Loevinger, die Binder systemische Stufe nennt. Die Kompetenz, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und anzuerkennen ist entwickelt. Systemische Zusammenhänge wie Zirkularität und Paradoxien werden wahrgenommen. Im Gegensatz zur vorherigen individualistischen Stufe ist die Multiperspektivität und die Toleranz für Mehrdeutigkeit hier geradezu willkommen. Man leidet also nicht mehr unter der Erkenntnis der Multiperspektivität, was in der relativierende Stufe häufig noch der Fall ist. Hier wird deutlich, dass systemisch zu denken, eine hohe Herausforderung ist. 

In der anschließenden integrierten Stufe liegt keine Bindung mehr an ein  explizites Werte-, Einstellungs- und Vorgehenssystem vor. Insofern können viele Perspektiven verstanden werden und auch Paradoxien sind gut integrierbar. 

Binder schließt zusätzlich dann noch mit einer zusätzlichen so genannten fließenden Stufe ab. Hier ist das Bedürfnis, Dinge und Personen zu bewerten, nicht mehr vorhanden. Bewusstseinszustände gehen ineinander über. Ernste und landläufige Bezüge können flexibel hergestellt werden. 

Einordnung des Ego-Development-Konzeptes

Der hier verwendete Ich-Begriff ist ein spannendes Konstrukt. Denn er umfasst nach Loeveniger und Binder vier Bereiche: Charakter (Umgang mit eigenen Impulsen und Maßstäben), interpersonellen Stil (Art und Weise mit anderen umzugehen), Bewusstseinsfokus (Aufmerksamkeitsrichtung) und kognitiven Stil (Denkstrukturen) (Binder, 2017, 41). Dies erinnert an Ansätze in der TA, die auch eine klares, mit Energie besetztes Erwachsenen-Ich annehmen. Das Ich kann man aber auch als ein sehr heterogen auftretendes Zusammenspiel von sehr unterschiedlichen „Kernen“ oder Aspekten wie in den Teile-Theorien (Mohr, 2020) sehen. Man könnte auch kritisieren, dass anders als in der Kindesentwicklung die Stufen wenig zwangsläufig oder natürlich sind. Es sind eher Entwicklungsstufen, die man für die menschliche Entwicklung als erstrebenswert erklären kann.

Zwar wird die kindliche Entwicklung auch nicht immer in allen Stufen geleistet, aber Kinder werden mit diesen Stufe in Form von Entwicklungsherausforderungen von außen konfrontiert. Dies kann man für Erwachsene auch postulieren. Es führt aber zu der Frage, welche Kriterien und Dimensionen in den Stufen angelegt sind. Dabei steigt für Beratung und Führung auch sofort die Frage auf, wie geeignet einzelne Stufen für bestimmte Herausforderungen auf einzelnen Lebensbühnen zum Beispiel des Berufes sein könnten.

Verschiedene Dimensionen

Liest man die Stufen so, wird deutlich, dass hier unterschiedliche Kompetenzen in Entwicklung sind. Ich-Entwicklung setzt sich aus sehr unterschiedlichen Themen und Dimensionen zusammen. Dahinter ein übergreifendes Muster zu sehen, wäre eine Hypothese, lässt sich aber in der realen Welt der durchaus vielfältigen Herausforderungen nur schwer verifizieren. Man kann in den einzelnen Dimensionen Niveauunterschiede annehmen. Für die klassische kognitive Intelligenz ist dies seit langem klar. Auch im moralischen Bereich ist dies denkbar, etwa ob ich die Menschenrechte und die Menschenwürde tatsächlich anerkenne. Gerade die Unterschiede zwischen Einstellung und Verhalten sind aber frappierend. Dies zeigt sich unter den Pressionen, die wirtschaftliche Kontexte mit sich bringen.

Trotz aller Einstellungen, die durchaus überzeugt formuliert werden, wird in Unternehmen beispielsweise im konkreten Fall doch korrupt gehandelt, wie große Industriefirmen auch in Deutschland beweisen. Letztlich sind die Loevingerschen Stufen vorwiegend an moralischer Entwicklung und dem gelten Lassen anderer Positionen orientiert. Was dann tatsächlich Integration bedeutet, bleibt offen. Der Konstruktivismusbegriff, mit dem der auf Piaget fußende Ansatz belegt ist, bleibt allerdings ein eigener und ist nicht zu verwechseln mit dem Konstruktivismus im systemischen Ansatz. Es meint letztlich den Reim, den jemand in der Lage ist, sich auf die eigene Einstellung und das eigene Verhalten sowie auf das von anderen zu machen. 

Niveauunterschiede   

Nach welchem Kriterium man daraus Niveauunterschiede macht, ist dann zu überlegen. Ein Stufenmodell gibt eine Orientierung dafür, welche Stufen der Entwicklung man sich vorstellen kann. In der Ich-Entwicklung spricht man hier nicht von „niedriger“ und „höher“ sondern von „früher“ und „später“, was aber nicht wirklich einen Unterschied macht. Wieweit diese Profile dann für bestimmte Lebensherausforderungen taugen, ist noch eine andere Frage. Das Modell ist ein persönlichkeitspsychologisches Konzept, und zwar ein deutlich einstufendes und wertendes. Dem Modell liegt zugrunde, dass es eine bestimmte Wertung von Fertigkeiten im Leben gibt, die auch eine Entwicklungsreihenfolge darstellt.

Capacities

Binder spricht hier von „capacities“, was er von Fähigkeiten und Kompetenzen unterscheidet. Dies ist nun bei genauer Betrachtung auch anderer Ansätze nicht ungewöhnlich. Auch beispielsweise Konzepte der emotionalen Intelligenz gehen davon aus, dass es aus dieser Perspektive mehr oder weniger entwickelte Menschen gibt. Sich in andere hineinversetzen können, gilt dort als höher entwickelt als wenn jemand dies nicht tut. Auch hierin geht es eigentlich nicht so sehr um Emotionen an sich, sondern wie diese in Beziehungen wahrgenommen und genutzt werden können. In Lenhardts Stufenkonzept der Autonomieentwicklung ist ebenfalls die Idee verschiedener Niveaus der Entwicklung enthalten (Lenhardt, 2017). Über Abhängigkeit, Gegenabhängigkeit, Unabhängigkeit entwickelt sich jemand im positiven Falle zum Bewusstsein der wechselseitigen Abhängigkeit. Darüber setzt er noch eine Stufe, die er „alter dependance“ (Lenhard, 2017, 74) nennt und die in die Lage versetzt, mit Menschen aller Stufen gut in Beziehung zu sein. In der Unabhängigkeit ist jemand ähnlich wie in Binders Stufen 5 (rationalistische Stufe) und in 6 (eigenbestimmte Stufe) noch stark auf objektive Norm oder die eigene Person bezogen. Erst über die relativierende Stufe 7 und die systemischen Stufe 8 wird die wechselseitige Beziehung integriert. Und es besteht die große Gefahr, dass Menschen gerade – selbst Beratene und Ausgebildete – in einer individualistisch geprägten Gesellschaft auf der Stufe 6 so zusagen „steckenbleiben“. Entwicklung geht in Richtung einer Aufnahme, Toleranz und einem Interesse an zusätzlichen Perspektiven. Genau dies postuliert das Ich-Entwicklungs-Konzept. Zunehmende Relativierung der eigenen Traditionen und Festlegungen zugunsten der Hereinnahme neuer Perspektiven bildet den Kern des Entwicklungsweges. Binder spricht von „Differenzierung und Integration“. Allerdings bleibt etwas offen wie der zweite Punkt, die Integration geleistet wird. Wie kann man sich Integration vorstellen?

Integration 

Integration ist das integrative Zusammenwirken so verschiedener Bereiche wie Denken, Emotionen, Werte und Handlungsoptionen (vgl. auch Berne, 1961; Temple, 2004; Tudor, 2005). Allerdings wird Integration in der psychoanalytischen Tradition oft quasi als Reparatur und Neuausrichtung bisher schon vorhandener psychischer Elemente begriffen. Dies ist nur ein Teil. Integration auch kommt auch wesentlich zustande, wenn aktuelle Begegnungen im Sinne von Neopsyche zu neuen Ichzuständen führen. Dies weiß man aus der Paartherapie oder aus dem Coaching. Bubers „Über das Du zum Ich werden“ gilt für die Begegnungen in der gesamten Lebensspanne. Wo in der Theorielandschaft gibt es Konzepte zu integrierten Mustern oder Mustersystemen, die dieses Zusammenwirken abbilden?

Wie entsteht Integration?

Sie entsteht durch Entscheidung und durch Konsolidierung (Hewitt, 1997). Neue Erkenntnisse, neue Verhaltensimpulse sind noch keine integriertes neuronales Netzwerk ein Muster aus Denken, Fühlen, Verhalten und Körper, wie der Ichzustand in der modernen Transaktionsanalyse definiert wird (Allen, 2003). Es braucht eine einmalige Beeindruckung, etwa wie es im Negativen bei einem traumatischen Ereignis entsteht. Rosa (2016) spricht von Resonanzerlebnissen. Dann wird etwas „zu eigen gemacht“, zu einem neuronalen Muster (Allen, 2003). Aber ist es dann schon integriert? Integration verlangt hier die transaktionsanalytisch bezeichnete „Autonomie“. Berne hatte sie durch Bewusstheit, Spontaneität und Intimität beschrieben. Heute würde man das eher in der Trias Achtsamkeit, Flexibilität und bezogener Nähe ausdrücken (Mohr, 2008). Gleichzeitig ist, wenn es um die professionelle Ebene etwa von Beratern, Therapeuten oder Coaches geht, dafür die Integration aus Menschenbild, Persönlichkeitskonzeption, Beziehungsmodell, Entwicklungsansatz sowie der Kontextkompetenz und der vorhandenen Professionsmethoden von Nöten. 

Ein alternatives zyklisches Modell – Musterzyklen

Die Mustertheorie gibt Hinweise für zyklische Entwicklungen, die je nach Anforderung durchlaufen wird (Mohr, 2008; Mohr, 2012). Grob gesagt beginnt der Zyklus mit der Musterkonstruktion, einer Phase, in der Menschen ein erstes Muster für eine Situation aufbauen. Die zweite Stufe als Stufe der Wahlmöglichkeiten zwischen Mustern, in der jemand mehrere Optionen für eine konkrete Vorgehensweise entwickelt. Wie bei einer Sprache werden verschiedene Begriffe für einen Sachverhalt erworben. Dann folgt die fließende Stufe und als letztes die Musterfreiheit. Diese wiederum steht vor einer Musterkonstruktion bei einer neuen Aufgabe.

Person und Rolle

Auch ist die Vorstellung einer von Rollen unabhängigen Person durchaus umstritten. Es fällt zunächst uns schwer, den Menschen als immer kontextabhängig zu sehen, wie es streng genommen der Fall ist, da ja immer irgendein Kontext existiert. Wir sind nie außerhalb und frei von Kontext. Gerade aufgeklärte Menschen sehen sich aber gerne autonom. Dennoch ist der Mensch immer in einem bestimmten Kontext. Der Systemiker Varga von Kibed hat entsprechend das systemische Denken, also die Kontextbezogenheit als äußerst schwierige Herausforderung für unser Denken beschrieben. Lebt der Mensch seine Person nur in seinen Rollen und eine unabhängige Person existiert nicht (Schmid, 2003)? Spätere Interpretationen des Rollenmodells haben wieder eine von den Rollen unterscheidbare Person oder ein damit interagierendes Selbst postuliert (Balling, o.J.; Mohr, 2008).

Die radikale These

Dennoch ist die ursprüngliche radikale These von Schmid sehr interessant. In ihrem Lichte wären die Niveaustufen dann nur auf eine bestimmte Kontextanforderung, etwa ein moralisch und beziehungsmäßig erfolgreiches Leben zu führen, sinnvoll. Wenn es um die Sanierung einer Firma ginge, wäre ein Postkonventioneller möglicherweise einem Konventionellen unterlegen, weil Multiperspektivität dann vielleicht schadet. Interessant ist auch, dass gewisse Felder des Tätigkeitwerdens und Lebens, die die Gesellschaft heute bietet, ab einer bestimmten Entwicklungsstufe nicht mehr in Frage kommen. Auf den Stufen E9 und E10 wird man in bestimmten Kontexten Schwierigkeiten bekommen. Die eigene Ich-Entwicklung kann über bestimmte äußere Anwendungsfelder hinaus gehen.   

Ausblick

In „Ich-Entwicklung – Reifegrade im Erwachsenenalter“ lernen sie das Modell der Entwicklungsstufen bei Erwachsenen kennen. Die heikle Frage von unterschiedlichen Reifegraden im Erwachsenenalter bleibt spannend. Das Konzept der Reifegrade nach Loevinger und Binder ergänzt die TA gut, lässt aber neue Fragen auftauchen. Für die TA stellt sich dabei die Frage, ob das leitende integrierte/integrierende Erwachsenen-Ich oder eine die synchrone Weiterentwicklung aller drei Ichzustandssysteme die bessere Modellvariante ist. Das integrierte/integrierende Erwachsenen-Ich lässt die anderen Ichzustandssysteme immer noch unsortiert zurück, während die Vorstellung einer Entwicklung aller Ichzustandssysteme, die vom Erwachsenen-Ich, der Neopsyche angeführt wird, auch interessant klingt.

Literatur: 

Allen, J. (2003): Concepts, competencis, and interpretative communities, in_ Transactional Analysis Journal, 33 (2), p. 126-147.

Berne, E. (1961): Transactional Analysis in Psychotherapy, New York: Grove Press.

Balling, R. (ohne Jahrgang): Das Rollenweltenmodell, unveröffentlichtes Arbeitspapier. 

Binder, T. (2007): Piagets Erbe für die Wirtschaft: entwicklungs-psycholo-gische Management-Diagnostik, in: Wirtschaftspsychologie aktuell, 2, S. 56-58.

Binder, T. (2010): Wie gut verstehen Berater ihre Kunden? Ich-Entwicklung – ein vergessener Faktor in der Beratung, in: Busse, S. und Ehmer, S. (Hg.): Wissen wir, was wir tun? Beraterisches Handeln in Supervision und Coaching, Göttingen: V & R, S. 104-132.

Binder, T. (2016): Ich-Entwicklung für effektives Beraten, Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht. 

Hewitt, G. (1995): Cycles of Psychotherapy, in: Transactional Analysis Journal, 25 (3): p. 200-207.

Kegan, R. (1994): Die Entwicklungsstufen des Selbst. Fortschritte und Krisen im menschlichen Leben. München: Kindt. 

Lenhardt, V. (2017): My 10 Strategies for Integrative Coaching – Co-Constructing the Journey from Freedom to Responsibility, Cham (CH): Palgrave Macmillan.

Loevinger, J. (1985): Revision of the Sentence Completion Test for Ego Development, in: Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 48, No. 2, S. 420-427.

Mohr, G. (2008): Coaching und Selbstcoaching mit Transaktionsanalyse, Bergisch-Gladbach: Edition Humanistische Psychologie. ….hier erhältlich*: https://amzn.to/3JtiFBz

Mohr, G. (2012): Pattern Theory as a Metaperspective for Change, in: Transactional Analysis Journal, 42, 2, 2012 p. 134-142.

Mohr, G. (2020) Einführung in die systemische Transaktionsanalyse von Individuum und Organisation, Heidelberg: Carl Auer….. hier erhältlich*: https://amzn.to/3HlqczR

Rosa, H., Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin: Suhrkamp, 2016 

Temple, S. (2004): Update on the functional fluency model in education, in: Transactional Analysis Journal, 34 (3), p. 197-204.

Tudor, K. (2005): Die Neo-Psyche: Der integrierte Erwachsenen-Ich-Zustand, in: Zeitschrift für Transaktionsanalyse, 3, 2005, S. 168-186.

Wilber, K. (2001): Integrale Psychologie. Freiburg: Arbor. 

 

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