Feldwissen

Für Sie gelesen

Rezension zu Heller, J. (Hg.) (2019): Resilienz für die VUCA-Welt, Wiesbaden: Springer.

15. September 2020 | Für Sie gelesen

Resilienz für die VUCA-Welt – Individuelle und organisationale Resilienz entwickeln

Die These, dass man eine Veränderung der Welt in Richtung von mehr Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUCA-world oder -Welt) feststellen kann, hat sich in den Bereichen Coaching und Organisationsentwicklung sehr verbreitet. Der von Jutta Heller herausgegebene Band zur Resilienz fasst im wesentlichen Beiträge vom Kongress 2017 “Coaching heute: Resilienz für die VUCA-Welt“ zusammen. Am Anfang formuliert die Herausgeberin den Anspruch, ein möglichst breites Spektrum von Resilienz für die VUCA-Welt abzudecken. 19 Beiträge zum Teil von einzelnen und auch von mehreren Autoren widmen sich dieser Aufgabe. Die großen Blöcke des Buches sind überschrieben mit

  • Ganzheitliche Ansätze individueller und organisationaler Resilienz
  • Die VUCA-Welt als Konstante zukünftiger Arbeitswelten
  • Messung der Resilienzstärke von Individuen, Teams und Organisationen
  • Neurobiologische und medizinische Grundlagen der Resilienz
  • Individuelle Resilienzstärkung
  • Praxisbeispiele zur Resilienzförderung
    Für den ersten Aufsatz zeichnet Jutta Heller selber verantwortlich und zeigt darin einige Grundthemen der Resiliienz auf. Wie auch in fast allen folgenden Beiträgen wird die These der zunehmenden Komplexität der Welt betont und einzelne „Säulen“ der Resilienz beschrieben. Das folgende so genannte FIRE-Modell von Karsten Draht, das „unter Zuhilfenahme fundierter Konzepte mehrerer anerkannter Psychologen, Psychiater, Soziologen, Biologen und Hirnforscher“ (S. 21) entwickelt worden ist, stellt verschiedene Sphären der Resilienz wie Persönlichkeit, Biografie und Beziehungen vor. Es wird rohe und erarbeitete Resilienz unterschieden, wobei die rohe quasi eine angeborene ist. Interessanterweise enthält der Beitrag nicht einen Literaturbezug, obwohl auf „aktuelle Forschungsergebnisse“ (S. 23) hingewiesen wird. Die Autorin Wellensiek stellt dann einen Resilienz-Trainingsparcours vor. Zum bevorstehenden Umbruch in die VUCA-Welt („Der Durchbruch steht bevor“, S. 49) stellt der Beitrag von Lenz noch einmal den Ursprung des VUCA-Konzeptes aus der amerikanischen Militärerfahrung mit den asymmetrischen Kriegen in Nahost vor. Das vom U.S. Army War College entwickelte Konzept hat dann Eingang in das Denken über Wirtschaft gefunden, „Die Übertragung dieser Erkenntnisse auf Zivilgesellschaft und Wirtschaftsunternehmen ist evident“ (S. 52). Veränderungen der Wirtschaft zeigten sich dadurch – so wird Sattelberger zitiert – dass Konsumenten „zusehends auf Augenhöhe zu den Produzenten“ seien (S. 53). Dies habe mit der

Einbindung der Konsumenten in die Produktionsprozesse zu tun. Als Lösungsansatz wird der Ansatz von Bushe und Marshak vorgeschlagen, die eine Sammlung verschiedenster Tools (World Cafe, Open Sace,…) durchgeführt haben und dafür das Label Dialogische Organisationsentwicklung nutzen. Konkret seien dazu „sanktionsfreie Lernräume“ nötig. Auch Ulrich Lenz versucht die Übertragbarkeit der VUKA-Theorie vom Militär auf auf die Wirtschaft zu begründen. Zur Messung organisationaler Resilienz stellt Jutta Heller mit anderen die ISO-Norm 22136:2017 vor, die in neun Dimensionen organisationale Resilienz zu erfassen versucht. Petra Golenhofen stellt die Polyvagaltheorie zum Nervensystem von Stephen Porges vor. Teresa Keller versucht in „Innere Ruhe durch stärkenorientierte Selbstwahrnehmung“ die „Dynamische Welt“ zu begründen. Keller beschreibt einen Unterschied von Fähigkeiten und Stärken und sieht bei den Stärken eine wesentliche Talent- und genetische Komponente. Sie leitet 24 so genannte Charakterstärken auf den Dimensionen „Weisheit und Wissen“, „Mut“, „Menschlichkeit“, „Gerechtigkeit“, „Mäßigung“ Und „Transzendenz“ ab. Humor tritt interessanterweise unter Transzendenz auf, warum nicht. Die Idee ist, dass Mitarbeiter zufriedener sind, wenn sie ihren Stärken entsprechend eingesetzt sind, wenigstens ein Trost in von außen her unsicheren Zeiten. Ein interessanter Ansatz ist in diesem Zusammenhang das Jobcrafting. Es bedeutet, dass Mitarbeiter eigenständig ihre Arbeitsplätze in Richtung ihrer Stärken verändern. Beate und Olaf Hofmann berichten darüber, wie Naturerleben zur Resilienz beitragen kann. Bei Karin Lohner steht mit Encouragement der Mut wieder im Vordergrund. Anja Mumm stellt systemische Interventionen wie zirkuläres Fragen, Wunderfrage, Tetralemma u.a. dar. Die letzten beiden Beiträge sind Praxisbeisipiele ven der Feuerwehr und aus dem Luftverkehr.

Insgesamt stellt das Buch tatsächlich eine ganze Reihe von beraterischen Herangehensweisen interessanten Coachingaspekten zur Resilienz vor. Der Schwerpunkt liegt – sieht man von der ISO-Norm ab – stark auf der individuellen Resilienz, auch der des Individuums in Organisationen. Zur kritischen Einordnung des Buches stellen sich einige Fragen. Die Grundthese, dass durch die VUCA-Welt eine so fundamentale gute Beschreibung für den heutigen Wandel gelingt, leuchtet mir, nachdem ich diese Vorstellung, anfangs auch interessant fand, mittlerweile nicht mehr ein. Zwar dienten militärische Organisationsprinzipien schon immer als Vorbild für die Wirtschaft. Viele Unternehmen sind heute noch nach einem alten militärischen Grundbild von Befehlsketten geprägt. Jetzt der Transfer amerikanischer Militärlektionen mit den afghanischen und irakischen Gureillakämpfern auf wirtschaftliche Prozesse in Hochtechnologiemärkten bleibt als Frage bestehen, so oft es auch heute wiederholt wird.

Dass Innovationsprozesse heute einem Beschleunigungsdruck unterliegen, ist klar. Schneller auf dem Markt sein als andere war aber auch schon bei Edisons Glühlampe das Thema. „Nichts ist, wie es einmal war“, sagt ein Artikel des Buches (S. 214). Eine solche Zusammenfassung ist so wahr wie falsch, erscheint nachvollziehbar, aber bei genauer Betrachtung gewagt. Ein Autor führt Untersuchungen von Unternehmensberatungen wie Cap Gemini und KPMG dazu an, die natürlich Notwendigkeiten mit Beratungsbedarf konstruieren. Vor allem sind nicht nur technologieverursachte Entwicklungen wie durch die Digitalisierung festzustellen. Viele heutige Komplexitätsprobleme des Alltags sind durch wirtschaftspolitische Entscheidungen wie Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, Privatisierung im Wohnungsmarkt, in der Gesundheitsversorgung und der Altersversorgung entstanden.

Fest steht allerdings, dass all das Resilienznotwendigkeiten hat entstehen lassen. Deshalb gibt Hellers Buch hier interessante Anregungen und Diskussionsstoff. Der Einzelne hat zunehmend mehr Resilienzerfordernisse, weil die Politik in eine bestimmte Richtung gesteuert hat. Unternehmen sind davon bisher sogar etwas ausgenommen, weil durch die Geldschwemmen der Zentralbanken und die auf Zentralbankgeld fußende Konjunktur die Insolvenzquote in den letzten Jahren sehr hat sinken lassen. Dies wird allerdings in den nächsten Jahren der Fall sein. Also insgesamt für Interessierte am Thema ein stimulierendes Buch.